Kahnbein-Bruch (Kahnbein-Fraktur/Scaphoid-Fraktur)

Kaum ein Knochenbruch des menschlichen Körpers wird häufiger übersehen als ein Kahnbein-Bruch.

Selbst bei rascher und korrekter Diagnosestellung stellen sich für Arzt und Patient viele Fragen

  • Muss eine Operation durchgeführt werden ?
  • Oder genügt eine Gipsbehandlung für ein gutes Ergebnis ?
  • Wie lange wird die Behandlung dauern ?
  • Wie sind die Erfolgs-Aussichten ?
  • Welche Möglichkeiten bestehen im Falle einer ausbleibenden
    knöchernen Heilung ?

Das Kahnbein ist ein wichtiger und zentraler Knochen am Handgelenk.
Es liegt in direkter Nachbarschaft zur Speiche.

DIAGNOSE

RÖNTGEN-AUFNAHME des Handgelenks

Häufig kann man auf den ersten herkömmlichen Röntgen-Aufnahmen des Handgelenk einen Kahnbeinbruch nicht erkennen. Deshalb muss man entweder Spezial-Aufnahmen in anderen Einstellungen durchführen (sog. Kahnbein-Quartett-Aufnahmen oder Stecher-Aufnahmen) ODER weitere Röntgen-Kontrollen in 1-2 Wochen, dann ist der frische Kahnbein-Bruch häufig besser zu erkennen. Sehr hilfreich ist ein CT (Computer-Tomogramm) sogenanntes Dünnschicht-CT im Achsverlauf des Kahnbeins. Ein MRT (Kernspin-Tomographie) ist zur Frühdiagnostik nicht empfehlenswert. Auf diesen Aufnahmen werden gelegentlich einfache Prellungen des Knochens (sog. bone-bruises) als Knochenbrüche fehlinterpretiert. Ein CT des Kahnbeins hat auch den Vorteil, frische von alten Kahnbeinbrüchen unterscheiden zu können.


Ein CT des Kahnbeins hilft auch sehr bei der Frage der Operation, es kann gut Fehlstellungen, Knochendefekte und Trümmerzonen im Kahnbein zeigen, die dann eher in Richtung Operation weisen…Der Zeitpunkt der DIAGNOSESTELLUNG ist von großer Bedeutung für die Therapie. Unbehandelt führt der Kahnbeinbruch häufig zur PSEUDARTHROSE (= ausbleibende knöcherne Heilung).
Wichtig ist auch die Lokalisation des Bruchs im Kahnbein. Denn das Kahnbein hat eine spezielle Durchblutung. Die Blutgefäße dringen vom distalen (körperfernen) Drittel in den Knochen ein. Somit ist dieses Drittel am besten durchblutet. Das proximale (körpernahe , speichennahe) Drittel ist am schlechtesten durchblutet. Entsprechend sind auch die Aussichten auf eine unproblematische knöcherne Heilung sehr unterschiedlich.

THERAPIE DES FRISCHEN BRUCHS

Ein frischer Kahnbeinbruch ist ein Knochenbruch, der innerhalb der ersten 3-4 Wochen festgestellt wird.

Unterschieden wird nach Lokalisation des Bruchs inerhalb des Kahnbeins:

  • KÖRPERFERNES DRITTEL (distal) – Diese Brüche heilen meist mit einer Gipsschiene oder Orthese ( Äußere Stoffschiene mit Klettbändern ) für 6-8 Wochen
  • MITTLERES DRITTEL – Hier besteht die Option der Gipsruhigstellung für 10-12 Wochen ( Unterarmgips mit Daumengrundgliedeinschluss ) oder die Möglichkeit der Verschraubung.
  • Dies entscheidet der Patient zusammen mit dem Arzt, am besten unter zu Hilfenahme eines Computer-Tomogramms. Hier kann man erkennen, ob der Kahnbeinbruch auch ohne Operation eine Chance zur Heilung hätte oder ob der Bruch wegen einer Fehlstellung oder Trümmerzone eher operiert werden sollte. Natürlich ist auch die Abneigung des Patienten gegenüber einer fast 3-monatigen Gipsbehandlung ein schwerwiegendes Argument für eine Operation.
  • KÖRPERNAHES DRITTEL(proximal) – Diese Kahnbeinbrüche sollten immer verschraubt werden, um die Chancen einer knöchernen Heilung zu verbessern.

Wie funktioniert die Verschraubung des Kahnbeins?

Diese kann minimal invasiv und percutan, d.h. über einen 1 cm langen Hautschnitt erfolgen. Bei guter Platzierung der Schraube und stabiler Verankerung kann das Handgelenk wieder rasch bewegt werden. Im Normalfall wird für maximal 2 Wochen eine Orthese angelegt. Eine Gipsbehandlung ist hier nicht erforderlich.

Hierbei findet eine sogenannte Herbert-Schraube mit 2 unterschiedlichen Gewindegängen Verwendung, diese kann komplett im Kahnbein versenkt werden. Diese Schraube ist kanüliert, d.h. hohlgebohrt und kann über einen weitaus dünneren Draht mittels Röntgen-Kontrolle vorgebohrt werden.

Über den liegenden Zieldraht wird die Herbert-Schraube eingebohrt. Dies geschieht unter exakter Röntgen-Kontrolle.Bei zentraler Platzierung der Schraube wird dann der Draht wieder entfernt. Nach Hautnaht ist die Operation beendet. Der dünne Draht bietet die Möglichkeit, mehrere Male in allen Ebenen die optimale Lage der Schraube zu finden.
Das linke Bild zeigt die Herbert-Schraube im Kahnbein.

Das rechte Bild zeit die Größe des Hautschnitts.

THERAPIE DES VERALTETEN BRUCHS

Das genaue Alter eines Kahnbeinbruchs ist vielen Patienten gar nicht bekannt oder wird falsch eingeschätzt. Wichtig für die Beurteilung ist das Röntgenbild und das CT des Kahnbeins. Hier kann die Qualität der Knochenstruktur bzw. das Ausmaß des Knochendefekts im Kahnbein beurteilt werden. Eine ausbleibende knöcherne Heilung wird als PSEUDARTHROSE bezeichnet, in diesem Fall als SKAPHOID-PSEUDARTHROSE oder KAHNBEIN-PSEUDARTHROSE. Natürlich besteht hier oft ein fließender Übergang zwischen „frisch“ und „alt“.

Das rechte Bild zeigt bereits ein lückenhaftes Kahnbein in der schlecht durchbluteten, speichen-nahen Zone. Hier muss ein Knochenspan vom Beckenkamm eingesetzt werden, um den Defekt zu überbrücken. Die Fixation erfolgt auch hier mit einer Herbert-Schraube. Die Heilungschancen sind in solchen Fällen (abhängig von der Lokalisation im Kahnbein) natürlich schlechter als bei der Versorgung eines frischen Knochenbruchs. Mit mindestens 6 – 8 Wochen Gipsbehandlung ist zu rechnen. Diese Herbert-Schrauben wurden in den letzten Jahren nochmals technisch verfeinert, so dass beispielsweise der Knochen nicht aufgebohrt und auch kein Gewinde geschnitten werden muss. Dies erleichtert den operativen Ablauf enorm und reduziert Fehlermöglichkeiten (HBS 2 Fa. Martin)


Folgende Abbildungen wurden freundlicherweise von der Fa. Martin zur Verfügung gestellt und zeigen den Ablauf einer
Pseudarthrosen-Operation

Die gelblich dargestellte Zone entspricht der ehemaligen Kahnbein-Fraktur, sie ist nicht mit Knochen durchbaut, es hat sich stattdessen ein Wackelgelenk (Pseudarthrose) mit Narbenzone entwickelt. Sie liegt in diesem Fall idealerweise im mittleren Drittel des Kahnbeins. Dort ist das Kahnbein sehr viel besser durchblutet als in dem körpernahen Drittel, nahe der Speiche.
Mit verschiedenen Instrumenten wird die Narbenzone bzw. Pseudarthrosen-Zone gereinigt, bis eine Narbenfreie Lücke entsteht. Das rote Areal in der Abbildung soll den wieder normal durchbluteten Knochen am Kahnbein zeigen. Wichtig ist es die Qualität der Knochendurchblutung während der Operation zuverlässig zu beurteilen. Neben der Narbenzone muss in manchen Fällen auch Knochengewebe entfernt werden, welches Cysten enthält. Diese Cysten bilden sich in der Nähe der Pseudarthrose in folge der permanenten und langjährigen Wackelbewegungen im Bruchspalt.
Dann wird der zuvor aus dem Beckenkamm entnommene Knochenspan in das Kahnbein eingesetzt. Er hat meist die Größe eines Zuckerwürfels. Wichtig ist hier eine gute Passgenauigkeit und Verklemmung.
Hierzu wird das Knochen-Transplantat sorgfältig auf die Defekt-Größe angepasst und zurechtgearbeitet.
Dann wird von einem Ende des Kahnbeins (vom sogenannten distalen Kahnbeinpol) ein Draht mit einer Bohrmaschine im Achsverlauf des Kahnbeins eingebohrt.
Natürlich soll der Draht den Knochen mittig durchqueren und den eingesetzten Knochenspan gut fixieren. Der Draht wird in verschiedenen Ebenen mit dem Röntgen-Bildwandler kontrolliert. Optimal ist eine zentrale Lage in der Verbindungslinie zwischen den beiden Polen. Anschließend wird die Länge des Drahtes gemessen und die Länge der nachfolgenden Schraube kalkuliert.
Ohne weitere Überbohrungen kann über den liegenden Draht sofort die Schraube eingedreht werden. Die grünen Pfeile deuten die Kompressionswirkung der Schraube an. Diese ist auf die unterschiedliche Steigung der Gewinde zurückzuführen. Wichtig für die Knochenheilung ist u.a. die stabile, wackelfreie Lage des Knochenspans im Kahnbein. Die Kontaktflächen des Spans müssen mit gewissem Druck einheilen. Sollte die Pseudarthrose im körpernahen Drittel liegen, d.h. der Speiche benachbart, so wird meist von der Streckseite des Handgelenks operiert.

Wie muss ich mich nach einer einfachen Verschraubung meines frischen Kahnbeinbruchs verhalten?

Die Stabilität der eingebrachten Schraube ist von mehreren Faktoren abhängig. Wenn es sich um einen einfachen Querbruch ohne Trümmerzone handelt und der Operateur einen festen Eindruck beim Eindrehen der Schraube bei der Operation gewinnt, kann man die Nachbehandlung frühfunktionell gestalten. Das bedeutet, dass keine äußere Ruhigstellung erforderlich ist. Nur für den Wundschmerz oder zur Nacht kann bedarfsweise die ersten Tage eine Gips- oder Klettschiene getragen werden.

Diese Aufnahmen zeigen links den frischen Kahnbeinbruch, in der Mitte die Situation direkt nach der Operation und rechts nach 6 Wochen. Zu diesem Zeitpunkt ist der Patient bereits zur Normalbelastung zurückgekehrt. Auf dem Röntgenbild rechts ist die zunächst schwarze Bruchlinie nur noch andeutungsweise zu erkennen. Volle Belastung ist dann erlaubt, Ballsportarten (wie Handball oder Volleyball) dürfen erst nach 8 – 10 Wochen gespielt werden.
Die Schraube ist allseitig von Knochen umgeben, eine Metallentfernung ist nicht erforderlich.

OUT

Oberarm-Gipse werden bei der Behandlung der Kahnbein-Brüche nicht mehr angewendet, sind eher kontraproduktiv!
Stattdessen wird ein Unterarmgips mit Einschluss des Daumengrundgliedes verwendet.

Man spricht seit vielen Jahren nicht mehr vom Os naviculare an der Hand, sondern vom Os scaphoideum und von der Skaphoid-Fraktur und der Skaphoid-Pseudarthrose. Das Os naviculare befindet sich definitionsgemäß am Fuß. Zusammen mit modernen wissenschaftlich anerkannten Therapieformen sollten auch die aktuellen Begriffsbezeichnungen verwendet werden.!

Das CT im Achsverlauf des Kahnbeins ist sehr viel hilfreicher bei der Diagnose-Findung und Therapie-Entscheidung als ein MRT. Ein MRT kann hilfreich sein bei bereits bekannter Pseudarthrose zur Beurteilung der Vitalität des Kahnbeins, d.h. der Qualität der Durchblutung, als Prognosefaktor für die Heilungschancen nach Operation (s.u.)

„Ich habe einen veralteten Kahnbeinbruch ! Welche Möglichkeiten gibt es noch?“

In manchen Fällen können sich die Patienten an keinen Unfall mehr erinnern. Es kommt gelegentlich vor, dass im Rahmen eines frischen Unfalls eine alte nicht verheilte Kahnbeinverletzung festgestellt wird. Für die Heilungschancen ist nun neben dem Altern des Patienten natürlich auch das Alter der Verletzung mitentscheidend.

Es ist nun wichtig 2 Dinge zu klären:
Erstens die Qualität der Gelenkflächen um das Kahnbein herum, d.h. im gesamten Handgelenk und zweitens die Durchblutungssituation des Kahnbeins selbst und damit die Knochenqualität der beiden Kahnbein-Anteile). Die Gelenkflächen lassen sich zunächst mit einem herkömmlichen Röntgenbild beurteilen (oder mit einem MRT oder im Zweifel mit einer Arthroskopie des Handgelenks). Ob das Kahnbein noch gut durchblutet ist, zeigt eine MRT-Untersuchung mit Kontrastmittel.
Zeigt das Röntgenbild bereist eindeutige Knorpelschädigungen mit Gelenkspalt-Verschmälerung am Handgelenk, so spricht man von einem sogenannten SNAC-Wrist (Scaphoid Nonunion Advanced Kollaps) einem fortgeschrittenen Handgelenks-Zerfall infolge einer Kahnbein-Nichtheilung.

Auf dem Röntgen-Bild links zeigt der blaue Pfeil auf den Bruchspalt im Kahnbein. Die beiden Kahnbein-Anteile haben einen unterschiedlich weiten Gelenkspalt zur Speiche.
Die Skizze rechts soll dies erläutern.
Die roten Punkte zeigen den aufgebrauchten Gelenkspalt zwischen Speiche und Kahnbein. Die Speiche selbst ist hier deutlich formverändert. Infolge der Arthrose ist sie hier spitz ausgezogen.

Es haben sich hier degenerative Randzacken entwickelt, alles Zeichen eines fortgeschrittenen Gelenkverschleißes. Der blaue Pfeil zeigt auf der Skizze auf den Bruchspalt, auf den sogenannten Pseudarthrosen-Spalt. Es hat sich hier ein Falsch-Gelenk, ein Pseudo-Gelenk entwickelt.
Da hier bereits ein Gelenkschaden besteht und das Äußere des Kahnbeins unwiederbrindlich geschädigt ist, macht es keinen Sinn, das Innere des Kahnbeins wiederherzustellen. Auch im Falle der Knochen-Heilung würden hier nicht akzeptable Beschwerden verbleiben. Also sollte in derartigen Fällen das Kahnbein entfernt und eine Teilversteifung des Handgelenkes durchgeführt werden
(siehe auch unter Arthrose Handgelenk)

„Hier geht noch was…“
Diese Skizze zeigt blau eine veraltete Kahnbein-Pseudarthrose mit breitem Bruchspalt, aber noch weitem Gelenkspalt zwischen Kahnbein und Speiche. Hier besteht prinzipiell noch die Möglichkeit der Wiederherstellung des Kahnbeins. Im Zweifel kann eine Arthroskopie des Handgelenkes mit direkter Beurteilung der Gelenkflächen durchgeführt werden.